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Heilsam: garteln und reden
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Montag, 03 Mai 2021

Heilsam: garteln und reden

Der „Heilsame Bauerngarten“ hat es Gudrun Brugger angetan. Seit Spätsommer vergangenen Jahres hat sie dieses Projekt übernommen und weiterentwickelt. Jetzt freut sie sich über die ersten konkreten Erfolge.

Gudrun Brugger ist gebürtige Osttirolerin und lebt seit 15 Jahren mit ihrer Familie in Südtirol. Als Gesundheitspsychologin ist das Thema Gartentherapie für sie interessant, die Soziale Landwirtschaft für sie eine Möglichkeit, soziale und gesundheitliche Aspekte zu vereinen und neue Angebote zu schaffen. Das Projekt „Heilsamer Bauerngarten“, eine Initiative der Sozialgenossenschaft „Mit Bäuerinnen lernen – wachsen – leben“, der Südtiroler Bäuerinnenorganisation, des Südtiroler Bauernbundes und Lebenshilfe Onlus, ist ein solches neues Angebot.

Ulrike Tonner: Frau Brugger, was bedeutet für Sie Soziale Landwirtschaft?

Gudrun Brugger: Für mich bedeutet Soziale Landwirtschaft das Zusammenführen unterschiedlicher Möglichkeiten, die sich im Sozial- und Gesundheitsbereich positiv auswirken. Wir haben Höfe, die viele positive Reize bieten, die wir sehr gut nutzen können.

Zudem bietet die Soziale Landwirtschaft Frauen, die soziale Fähigkeiten haben, die Möglichkeit, sich am Hof ein eigenes Standbein aufzubauen. Sie sehen, dass sie einen schönen Platz mit vielen Möglichkeiten haben, und das möchten sie gerne mit jemandem teilen. Ich erlebe das als eine sehr schöne Entwicklung, weil diese Bereitschaft da ist, etwas vom eigenen Leben jemand anderem weiterzugeben. Das verbinden zu können – die Natur, den Hof als Struktur, das Familiäre, die sozialen Fähigkeiten – ist für mich Soziale Landwirtschaft.

Ganz konkret zum Projekt „Heilsamer Bau-erngarten“: Worum geht es dabei?

Das Projekt selbst ist entstanden aus dem Wunsch heraus, den Garten und die Arbeit im Garten Leuten mit besonderen Bedürfnissen anzubieten. Wir haben Betriebe in ganz Südtirol, die sich für dieses Projekt gemeldet haben und diese soziale Dienstleistung ganz zielgerichtet anbieten möchten, je nachdem, welche Bedürfnisse die oder der Betroffene hat oder welche Förderung sie/er braucht, z.B. Training der Feinmotorik, der Koordination oder Ausdauer, oder einfach das gemeinsame Arbeiten mit Leuten mit psychischen Erkrankungen, denen das miteinander Garteln und das gemeinsame Gespräch gut tun.

Das Angebot ist zielgerichtet, nicht unbedingt auf ein hohes Niveau, sondern auf kleine Ziele: Was kann ich fördern, und wie kann ich jemanden unterstützen, der zu mir kommt.

Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Zurzeit arbeiten wir mit der Lebenshilfe zusammen. Gemeinsam schauen wir uns die Höfe und die Strukturen an. Nach den Ge-sprächen mit Bäuerinnen und Bauern werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Höfen zugeteilt und die Ziele abgeklärt. Wenn von beiden Seiten das Gefühl da ist, dass es passt, wird offiziell gestartet. Die Teilnehmerin bzw. der Teilnehmer, oft mit einer Begleitperson von der Lebenshilfe, kommt meist einmal für einen halben Tag oder ein paar Stunden auf den Hof, dort wird dann gemeinsam gearbeitet. Das ist bei einigen Höfen auch über den Winter gelaufen, weil einige ganz begeistert waren und nicht warten wollten.

Wir arbeiten aber auch mit dem Zentrum für Psychische Gesundheit und mit der Psychiatrie Brixen zusammen, sowie mit unseren Kolleginnen von der Seniorenbetreuung.

Die soziale Dienstleistung wird honoriert, oder?

Für das Pilotprojekt gibt es eine Entschädigung für eine gewisse Stundenanzahl. Das Ziel des Pilotprojektes ist es aber, gleich im Anschluss diese soziale Dienstleistung professionell und offiziell anzubieten. Mit der entsprechenden Bezahlung.

Wie schaut es mit der Ausbildung aus?

Es wird parallel zum Pilotprojekt eine Ausbildung aufgebaut. Dafür definieren wir zuerst, welche Fähigkeiten oder Qualifikationen es braucht, um Teilnehmerinnen und Teilnehmer diverser Zielgruppen wirklich gut und professionell begleiten zu können.

Zurzeit bieten wir den Projekteilnehmerinnen Webinare an, in denen es um die professionelle Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen, von Senioren und von Menschen mit psychischen Erkrankungen geht. Sie sind natürlich keine Therapeuten, sondern bieten garten- und pflanzengestützte Interventionen am Bauernhof.

Das Projekt „Heilsamer Bauerngarten“ war beim italienweiten Wettbewerb „Coltiviamo Agricoltura Sociale“ unter den drei Gewinnern. Ein Erfolg?

Ja, klar. Beim diesem Wettbewerb von der „Confagricoltura“, „Onlus Senior“ und „Reale Foundation“ wurden insgesamt 45 Projekte eingereicht. Ich glaube, unser Projekt hat deshalb herausgestochen, weil wir hier in Südtirol mit unseren Höfen schon eine Besonderheit haben und im ganzen Land verteilt sind. Und weil wir das Angebot an unterschiedliche Zielgruppen anpassen möchten: Senioren, Leute mit psychischen Erkrankungen, Jugendliche mit Lernschwierigkeiten, Leute mit psychosomatischen Erkrankungen. Ausschlaggebend war aber, dass wir ganz gezielt einen Dienst aufbauen, der für Bäuerinnen und Bauern einen Mehrwert hat.

Die SBO hat in der Sozialen Landwirtschaft schon vor 15 Jahren erste Projekte gestartet: die Sozialgenossenschaft, die Kinder- und Seniorenbetreuung und die Schulprojekte. Warum braucht es immer so lange, bis Projekte Fuß fassen?

Man sieht: Die Köpfe brauchen Zeit, um Neues zuzulassen. Ein Thema war auch immer das Finanzielle. Ich glaube, dass die heutige Gesellschaft im Unterschied zu früher bereit dazu ist, etwas für diese sozialen Dienstleistungen zu bezahlen. Frauen können sich am Hof ein zweites Standbein aufbauen, dabei ihre Kompetenzen einsetzen und ihr eigenes Einkommen erwirtschaften.

Was wünschen Sie sich für das Projekt?

Immer, wenn es etwas Neues gibt, gibt es viel Skepsis und Widerstände. Das spüre ich ein bisschen, wenn plötzlich die Frage im Raum steht, mit welcher Berechtigung Bäuerinnen und Bauern jetzt auch soziale Arbeit machen wollen. Ich würde mir wünschen, dass man neuen Entwicklungen mit mehr Offenheit gegenübersteht und zuerst schaut, was die Soziale Landwirtschaft eigentlich ist und was sie der Gesellschaft bieten kann. Schauen wir, was wir gemeinsam daraus machen können, damit es uns alle bereichert. Und ich wünsche mir auch, dass unsere Bäuerinnen durch die Soziale Landwirtschaft die Möglichkeit haben, ihre Ideen am Hof umzusetzen und entsprechend honoriert werden.

Haben Sie schon ein nächstes Projekt im Kopf?

Wir stehen erst am Beginn und es gilt, noch ganz viele Projekte ins Leben zu rufen. Mir persönlich sind Menschen mit psychischen Erkrankungen ein großes Anliegen, und ich denke, gerade dafür bietet die Soziale Landwirtschaft viele Möglichkeiten. Es ist ein Unterschied, ob ich in einem Krankenhaus in einem sterilen Umfeld eine Therapie mache oder eine psychologische Betreuung mit vielen schönen und positiven Impulsen aus der freien Natur verbinden kann. Aber jetzt schauen wir erst mal, dieses Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen.

Interview: Ulrike Tonner

Bildtext: Beim Projekt „Heilsamer Bauerngarten“ der Sozialen Landwirtschaft wird das Garteln zur heilsamen Betätigung.

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