Interview mit Berta Linter, langjährige Wegbegleiterin und Supervisorin der Lebensberatung für die bäuerliche Familie.
Damit Familien gemeinsam ihren Weg gehen, sollten sie viel miteinander reden. Die Bereitschaft dazu wächst. Helfen kann die Lebensberatung für die bäuerliche Familie.
„Reden statt aushalten“
Konflikte zur Sprache bringen, sie in Worte fassen und helfen, sich auf den Weg zu machen: Das ist der Leitgedanke der Lebensberatung für die bäuerliche Familie der SBO. Supervisorin Berta Linter berichtet von ihren Erfahrungen.
Interview: Ulrike Tonner aus Südtiroler Landwirt 29.03.2013 Rubrik Leben
Insgesamt 40 Lebensberaterinnen und Lebensberater sind zurzeit Ansprechpartner für Menschen aus der Landwirtschaft, die bei der Bewältigung schwieriger Situationen helfen.
Berta Linter begleitet das Projekt der Südtiroler Bäuerinnenorganisation (SBO) seit über drei Jahren und unterstützt die Lebensberater als Supervisorin. Sie weiß, wie es manchen Menschen in der Landwirtschaft geht und wo der Schuh drückt.
Südtiroler Landwirt: Wieso gibt es die Lebensberatung für die bäuerliche Familie?
Berta Linter: Die freiwillige Unterstützung von Bauersleuten, die keinen Fachdienst leisten, sondern die helfen, Lebensschwierigkeiten zu bewältigen, ist ein Ansatz, der sich für die Landwirtschaft sehr gut eignet. Die Landwirtschaft hat ja in ihrer Tradition die Nachbarschaftshilfe. Es fällt ihnen leichter, bei Ihresgleichen Hilfe zu suchen, weil sie sich mehr Verständnis für ihre Probleme erhoffen. Bei Konflikten, die so verfahren sind, dass die Konfliktpartner nicht mehr miteinander können, kann manchmal durch einen Dritten das Gespräch wieder angestoßen werden.
Ist es so schwierig ein Gespräch zu führen?
Anita Pichler hat in ihrem ersten Roman „Die Aushäusige“ geschrieben, dass unsere Sprache eine „Stottersprache“ ist. Sie hat wohl gemeint, dass wir uns mit dem Reden nicht so leicht tun. Die bäuerliche Kultur ist geprägt vom Tun, vom Handeln. Das gesprochene Wort hat nicht so viel Wert. Das ist eher ein Nachteil, weil die Bedeutung der Kommunikation in den letzten Jahrzenten immer mehr gewachsen ist. Wir haben gelernt, öffentlich zu reden; wir haben gelernt, die Dinge beim Namen zu nennen. Wir haben weniger gelernt, unsere Schwierigkeiten in Worte zu fassen. Und hier helfen die Lebensberater? Der erste Schritt ist, eine Form des miteinander Redens zu finden. Da kommt jemand, den die Ratsuchenden nicht kennen, der keine Vorurteile im Kopf hat, dem sie freier sagen können, was ihnen am Herzen liegt. Dann geht es darum, die Anliegen herauszufiltern, zu formulieren, worum es eigentlich geht. Die Landwirtschaftlichen Lebensberater hören den Ratsuchenden zu, sie klären erste Schritte, z.B. wo fachliche Information einzuholen sind, welche Initiativen weiter führen können. Problemlösung fängt damit an, das Problem in Worte zu fassen.
Welche Themen kommen am häufigsten vor?
Viele brauchen Unterstützung bei der Hofübergabe. Es gibt Ratsuchende, die sich melden, wenn die Übergebenden die Hofübergabe erst ins Auge fassen. Dann gibt es Ratsuchende, die schon ganz konkrete Vorstellungen haben, da geht es hauptsächlich um Klärung bestimmter Sachfragen. Viele Lebensberater haben ja selbst schon einen Hof übergeben. Die Ratsuchenden haben dann einen Gesprächspartner, der ihr Vorhaben schon bewältigt hat, der viel Wissen über inhaltliche Aspekte hat, der weiß, wo es die Fachdienste gibt.
Wie arbeiten die Lebensberater?
Wir haben Leute, die sich in bestimmten Bereichen gut auskennen, die wissen, was man für Dokumente braucht, wo man sich informieren kann, wenn es um Eigentumsfragen geht. Es gibt andere, die mehr den Rollenwechsel thematisieren können. Manche übernehmen die Leitung einer Familienkonferenz, wenn Übergeber, Übernehmer und die weichenden Erben an einem Tisch zusammenkommen. Sie bereden mit den Ratsuchenden, wie es überhaupt gelingen kann, alle an einem Tisch zusammenzubringen. Für die Betroffenen ist es eine konkrete Hilfe, wenn ein Lebensberater sie bei den Vorbereitungen unterstützt.
Wie schaut es mit der Rollenverteilung am Hof aus?
In der bäuerlichen Welt hat die Tradition einen hohen Stellenwert. Die Rollen und Aufgaben von Mann und Frau sind traditionell klar zugewiesen. Heutzutage hat ein Hof eine gute Zukunft, wenn er partnerschaftlich geführt wird. Das bedeutet: Entscheidungsmacht und Verantwortung müssen geteilt werden. Bauer und Bäuerin sollten den Hof gemeinsam führen, in einem längerfristigen Aushandlungsprozess. Es muss ausgeredet werden, wer welche Fähigkeiten, Kompetenzen und Bedürfnisse hat, was wem abverlangt werden kann. Ein häufiges Thema ist auch die Arbeitsüberlastung. Es gehört schon zu unserer bäuerlichenKultur, dass man sich mit Leib und Seele der Arbeit verschreibt. Die bäuerliche Gesellschaft ist grundsätzlich so ausgerichtet, dass alles getan wird, was machbar ist. Da hört die Arbeit nie auf. Eine Redewendung besagt: „Eine Bäuerin arbeitet immer“. Die ständige Arbeitsüberlastung ist dann aber oft auch ein familiärer Konfliktstoff.
Wie hoch ist die Bereitschaft der Menschen am Hof, sich an die Lebensberatung zu wenden?
Die Bereitschaft, sich einzugestehen, Schwierigkeiten zu haben und sich deshalb Hilfe zu holen, wächst Gott sei Dank. Auch die bäuerliche Gesellschaft öffnet sich, sie ist heute eher bereit, um Rat zu fragen. Für viele ist es leichter, mit Menschen zu reden, die aus der Bauernschaft kommen, weil diese ein vertieftes Verständnis für die Problematik vom Leben auf dem Hof haben. Sie dürfen hoffen, von deren Erfahrungen zu profitieren. So gesehen ist die Lebensberatung für die bäuerliche Familie ein niederschwelliges Hilfsangebot von Gleichen für Gleiche.
Melden sich die Bertoffen früh genug?
Ein Ziel ist, den Familien zu vermitteln, dass ein kleiner Konflikt viel leichter aufgearbeitet werden kann als ein lange gewachsener. Das kostet viel weniger Zeit, weniger Kraft, zerbricht „weniger Porzellan“, es wird weniger Lebensqualität zerstört, wenn Schwierigkeiten früh angegangen werden. Nicht der Konflikt ist das Problem, sondern die Tatsache, dass man den Konflikt oft viel zu lange wachsen lässt.
Was wünschen Sie den Menschen am Hof?
Ich wünsche ihnen, dass sie im Stande sind, die Freiräume, die ihnen das Leben am Hof ermöglicht, auszuloten. Ich wünsche ihnen, dass sie einander respektieren, dass sie mit den Veränderungen im Laufe des Lebens gut umgehen können. Der bäuerlichen Gemeinschaft wünsche ich, dass die Toleranz untereinander wächst. Ich wünsche ihnen mehr unternehmerische Kompetenz, dass sie die Fachdienste mehr nutzen, dass die finanziellen Sorgen nicht so drücken. Die Verschuldung ist ein häufiges Problem.
Was wünschen Sie der Lebensberatung für die bäuerliche Familie für die Zukunft?
Ich wünsch ihr, dass sie diesen Weg zwischen niederschwelligem Angebot und fachlichem Begleiten gut gehen kann. Ich wünsche den Beraterinnen und Beratern, dass sie mit den Ratsuchenden in einer Phase, in der sie Begleitung brauchen, ein Stück Lebensweg gehen können. Ich wünsche den Lebensberatern, dass ihr freiwilliges Engagement Anerkennung findet, dass ihre Unterstützung und dieses Sich-zur-Verfügung-stellen geschätzt wird. Für die Lebensberatung hoffe ich, dass sie sich als Hilfe zu Selbsthilfe innerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft gut etablieren kann.
Zur Person Berta Linter Schlemmer
Derzeitige Tätigkeit
Freiberuflich tätig in Supervision und Coaching, Projektbegleitung, Moderation, Weiterbildung, Kulturarbeit
Weitere berufliche Erfahrungen
Ressortdirektorin in der Südt. Landesverwaltung a. D., Ausbildungs- und Berufsberatung, Erwachsenenbildung, Gewerkschaftsarbeit, Unterricht an Mittelschulen
Ausbildung/Spezialisierung
Studium der Erziehungswissenschaften; systemische Beratung, Weiterbildung am Managementzentrum St. Gallen
Supervisionsausbildung
Integrative Supervision bei Fritz Perls Institut / Europäische Akademie für Psychosoziale Gesundheit in Düsseldorf Schwerpunkt Supervision Einzel-, Gruppen-, Team- und Projektsupervision Führungskräfte, supervisorische Begleitung von Veränderungsprozessen