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Donnerstag, 26 Juni 2014

Die Beziehung ist es, die heilt

 

Eigentlich wollte Dr. Silvia Moser Reisejournalistin werden. Doch es kam ganz anders. Heute blickt die Koordinatorin der Telefonseelsorge Caritas auf zehn spannende Jahre zurück - und viele Jahre nach vorne.

Frau Moser, die ersten zehn Jahre der Telefonseelsorge in drei Worte zusammengefasst?

Sprachrohr sein, Vertrauen in Neues, unterstützende Zusammenarbeit.

Die Gesellschaft „versingelt" immer mehr. Laut ihrer Statistik ist Einsamkeit der häufigste Anrufgrund.

 Menschen, die mitten im Leben stehen vereinsamen in der Hektik und der Vernetzung. Es liegt nicht daran, dass wir keine Möglichkeit haben, zu kommunizieren, sondern ob wir wirklich das sagen, worum es wirklich geht.Die Leistungsgesellschaft verlangt von uns nur eine Seite, aber sieht nicht das Wesentliche, sondern Perfektion und Äußerlichkeiten. Der Mensch versucht seine Schuld, Unvollkommenheit und Fehler zu verstecken. Das macht einsam. Dadurch entsteht für viele die Frage: ist das Alles? Schneller, höher, weiter, besser?

Wenn man länger im Gespräch ist, merkt man, dass ein seelischer Reichtum da ist. Ganz zögerlich kommen oft wichtige und sinnvolle Themen ans Licht. In der Hektik kommt man gar nicht dazu an wesentliche Dinge zu denken. Es ist keine Zeit für grundsätzliche Fragen. Es ist wichtig den Mensch hinter der Rolle zu sehen, das wäre ein Weg zu einem echten Leben. Wir alle sind Menschen mit derselben Gefühlswelt, verpackt in verschiedenen Fassaden und Rollen.

Haben wir keine Freunde mehr? Oder können wir Freunden einen schlechten psychischen Zustand nicht zutrauen?

Ja und nein... Es müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Wenn es ein wirklicher Freund ist, dann würde ich empfehlen, es zu riskieren. Im Berufsleben muss man immer das Umfeld abschätzen. Wenn man ehrlich ist, kommt meist Wohlwollen und Verständnis zurück. Es ist meist nur die Angst: Was wird das Gegenüber wohl denken, wenn ich ihm das sage? Oft spielen wir den anderen deshalb ein Theater vor. Aber möglicherweise geht es beiden ähnlich. Wir wollen uns damit selbst schützen. Wir müssen ein Gespür entwickeln zu Gunsten der Echtheit, wem ich was sagen kann. Ehrlichkeit und Authentizität sollen uns leiten. Und aus langjähriger Erfahrung kann ich nun sagen: Es ist die Beziehung, die heilt.

Wie würden Sie den durchschnittlichen Anrufer beschreiben? 

Es ist ein Mensch, der bereits verschiedene Einrichtungen kennt, aber schwierig ist und dadurch weitergereicht wird. Er hat sich einen Schutz, eine Fassade aufgebaut. Aber je länger man spricht, durch das wertfreie Zuhören und das verlässliche Dasein kann man hinter die Fassade sehen und Stück für Stück mit kleinen Schritten weiterkommen.

Gibt es einen Unterschied zwischen bäuerlicher und nicht-bäuerlichen Problemen?

 In der bäuerlichen Realität merke ich, dass es auch Beziehungslosigkeit und Kontaktarmut innerhalb eines festen Familiengefüges geben kann, was eigentlich ambivalent ist. Vor allem 30-40-Jährige haben das Problem, dass sie gleichzeitig mit neuen Werten und dem neuen Weltbild, aber gleichzeitig in alten Strukturen leben. Das ist auch eine Sache der Macht, denn die vorhergehende Generation dominiert und man kann nichts dagegen machen. Die Nachfolgergeneration verstummt dann langsam. Diese Generation steht zwischen den Welten. Einige junge Bauern wollen Familie gründen, aber junge Frauen sind oft nicht bereit auf alte Höfe und in bäuerliche Verhältnisse zu ziehen. Das belastet viele Jungbauern sehr. Hier prallen Welten aufeinander. In der bäuerlichen Welt sind Normen und Starrheiten da. Dadurch entsteht eine Einsamkeit, die man im bäuerlichen Bereich finden kann. Die Landbevölkerung ist eher verloren, schwirrt umher. Oft liegt es auch daran, dass die Höfe sehr abgelegen liegen. Dadurch entsteht auch ein Generationenkonflikt. Wo soll man als Jungbauer auch hingehen? Es bleibt nichts anderes übrig, als mit den Eltern auf dem Hof zu leben.Die Generationenfolge ist tief im Hof drinnen, in den Mauern, im Gehöft. Wenn da ein junger Mensch entschließt, den elterlichen Hof zu verlassen, dann hat das auch viel mit Untreue und schlechtem Gewissen zu tun.

Die Lebensberatung für die bäuerliche Familie und die Telefonseelsorge der Caritas arbeiten eng zusammen. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?

Ich bin froh, dass es die Landwirtschaftliche Lebensberatung gibt. Wir wollten von Anfang an eine Zusammenarbeit. Für uns gibt es über das Telefon einfach eine Grenze. Oft rufen Leute an und man versucht sie im Rahmen von Gesprächen zu beraten. Aber nach einer Zeit, merkt man einfach, dass es auch die persönliche Beratung von Mensch zu Mensch braucht und man auch Leute weiterverweisen muss, zur Familienberatung usw. Wenn jemand aus dem bäuerlichen Milieu anruft, dann ist es besser, wenn man sie an jemanden verweisen kann, der sich in der bäuerlichen Realität auskennt und einen anderen Zugang hat. Es ist mir dabei auch wichtig, dass ich die Leute hinter den Institutionen persönlich kenne und die Arbeitsweise, damit ich die Menschen auch guten Gewissens in die Hände von kompetenten Partnern legen kann. Das ist bei der Lebensberatung für die bäuerliche Familie der Fall.

Stoßen Sie bei Telefonberatungen auf Grenzen?

Wie definiert man „Helfen"? Man kann niemanden heilen. Man kann begrenzt helfen, in dem Sinn, dass man z.B. psychische Krankheiten überbrückt bis zum nächsten psychiatrischen Termin. Wir helfen, indem wir ein Beziehungsangebot schaffen und Raum für Not der Menschen schaffen. Wir sind für sie ein Sprachrohr nach außen für die Anliegen, die die Südtiroler Bevölkerung hat. Trotzdem wird die Anonymität gewahrt. Im weitesten Sinne haben wir auch eine politische Aufgabe, indem wir herausfiltern, was in unserer Gesellschaft nicht stimmt.

Was sind Ihre Wünsche an die Gesellschaft und an die Zukunft?

Dass die Not eine Sprache bekommt, dass Menschen, die nicht funktionieren, in einer Krise sind und psychisch oder körperlich krank sind, dass sie gesehen werden. Wir alle haben diese Anteile in uns, es hängt nur von der Dosis ab. Dass wir unsere schwache Seite zeigen dürfen. Dass ein Platz für kranke Menschen geschaffen wird, dass Menschen krank sein dürfen. Man soll sich nicht für Krankheiten schämen müssen. Jene, die zugeben, dass sie schwach sind, sind eigentlich die stärkeren in der Gesellschaft. Auf solche Menschen sollte man in Zukunft bauen.

Dr. Silvia Moser, Koordinatorin der Telefonseelsorge der Caritas, arbeitet aktiv in der Arbeitsgruppe der Lebensberatung für die bäuerliche Familie mit. Gemeinsam mit ihr und weiterer fachlicher Unterstützung wird die Lebensberatung, ein Dienst der Südtiroler Bäuerinnenorganisation, weiter ausgebaut.

Tel. Telefonseelsorge: 840 000481

Tel. Lebensberatung für die bäuerliche Familie: 0471 999 400

Südtiroler Landwirt Rubrik Leben 26.10.2012 (Veronika Wolf und Verena Niederkofler)

 

 

 

 

 

 

 

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