Dienstag, 31 Juli 2018

Wenn Menschen verzweifeln

Suizid ist ein Tabu, es ist schwierig, darüber zu reden. Doch gerade das Gespräch hilft, den Suizidgedanken zu überwinden. Deshalb rät Nicole Irsara, Krisen nicht auszusitzen, sondern darüber zu reden.

In Südtirol nimmt sich statistisch betrachtet jede Woche eine Person das Leben, täglich finden ein bis drei Suizidversuche statt. Um dieser traurigen Bilanz entgegenzuwirken, wurde vor einem Jahr ein südtirolweites Netzwerk zur Suizidprävention ins Leben gerufen.

Auch die Lebensberatung für die bäuerliche Familie ist Teil dieses Netzwerkes. Nicole Irsara, Koordinatorin der Lebensberatung für die bäuerliche Familie, erklärt warum.

Ulrike Tonner: Erste Frage vorab. Wer ist am meisten gefährdet?

Nicole Irsara: Am meisten gefährdet sind Menschen, die unter Depressionen leiden, oder ein Suchtleiden haben. Im Allgemeinen sind Menschen in schweren Krisen betroffen, mehr Männer als Frauen, da sie es oft nicht gewohnt sind über Gefühle, Ängste und Sorgen zu reden. Auch Jugendliche zählen, je nach persönlicher Situation, zu den sogenannten Risikogruppen.

Warum ist die Lebensberatung Teil des Netzwerkes Suizidprävention?

Weil das Thema Suizid natürlich auch nicht vor der bäuerlichen Familie Halt macht. Unsere Lebensberater/innen waren schon einige Male damit konfrontiert. Es haben sich einerseits Bauern bei uns gemeldet, die daran dachten, ihr Leben zu beenden, es haben sich aber auch Bäuerinnen an uns gewandt, deren Mann einen Suizid angekündigt hat.

Wie gehen Sie da vor?

Wichtig ist, die Betroffenen unbedingt ernst zu nehmen in ihrer Ankündigung und für sie da zu sein. In einem zweiten Moment kann man gemeinsam mit ihnen nach einem Weg aus der ausweglosen Situation suchen. Sie wollen nämlich meistens weiterleben, nur nicht mehr so, wie sie gerade leben. Sie suchen nicht unbedingt den Tod, sondern ein Leben, das wieder hell erscheint und lebenswert.

Wieder Freude am Leben zu haben, schaffen sie aber alleine nicht mehr?

Genau. Weil es so ungeheuer schwierig sein kann, wenn man sehr verzweifelt ist. Aber den ersten wichtigen Schritt haben sie ja bereits gemacht, indem sie sich Hilfe von außen gesucht haben, in unserem Fall, indem sie sich an die Lebensberatung gewandt haben. Nun können gemeinsam weitere Schritte folgen.

Was können die nächsten Schritte sein?

Genau diesbezüglich ist es wichtig auf die Partner des Netzwerkes zurückgreifen zu können. Bei Suizid muss nämlich auf jeden Fall meist Fachpersonal hinzugezogen werden, wie Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte. Die Lebensberater/innen kennen die Dienste und suchen gemeinsam mit den Ratsuchenden die geeignete Form der weiteren Beratung. Die Betroffenen werden aber nicht einfach weitergeschickt, sondern weiterhin von den Lebensberater/innen auf ihrem Weg begleitet.

Was ist das Ziel dieses Netzwerkes?

Ziel war und ist es zusammen, über verschiedene notwendige Maßnahmen und Angebote zu diskutieren, die noch fehlen oder weiter ausgebaut werden sollten, um die seelische Gesundheit in Südtirol spürbar zu fördern. Die verschiedenen, bereits existierenden Maßnahmen und Dienste für gefährdete Menschen werden gesammelt. Außerdem möchten wir betroffene oder gefährdete Menschen besser schützen und die bestehenden Dienste noch sichtbarer machen. Denn jeder Suizidtote bzw. Suizidgefährdete ist einer zuviel.

Wer ist neben der Lebensberatung Teil des Netzwerkes?

Zum Glück bereits ganz viele Dienste. Das Netzwerk Suizidprävention setzt sich derzeit aus mehr als 20 verschiedenen gemeinnützigen Organisationen und öffentlichen Einrichtungen zusammen.

Wer koordiniert das Netzwerk?

Koordiniert wird das Netzwerk von der Caritas, der EAAD-EOS Genossenschaft, dem Forum Prävention, Telefono Amico und von Vertretern der psychiatrischen und psychologischen Dienste, der Notfallseelsorge sowie der Deutschen Bildungsdirektion der Autonomen Provinz Bozen.

Was möchten Sie sich abschließend Menschen, die nicht mehr leben möchten, deren Angehörigen und Freunden noch sagen?

Ich wünsche mir, dass Menschen, die an Suizid denken, nicht zuwarten mit einem Hilferuf an wen auch immer. Ich bin überzeugt, dass es sehr befreiend ist mit einer einfühlsamen Person zu sprechen, die nicht wertet, sondern einfach da ist und zuhört und mit der man gemeinsam nach Lösungswegen suchen kann. Ebenso möchte ich Angehörige und/oder Freunde ermutigen die Betroffenen anzusprechen. Wichtig ist einfach, ihnen Raum zu geben, indem sie über das Thema sprechen. Und sich auch Hilfe zu holen, wenn sie befürchten, dass sich jemand aus ihrem Umfeld das Leben beenden möchte und sie deswegen verständlicherweise in ständiger Sorge und Angst leben und merken, dass sie keinen Zugang zu ihm haben. Man muss nicht alles alleine "derpacken".

 

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