Alte Landsorten sind bestens an die lokalen Bedingungen angepasst. Sie schmecken anders als gängige Sorten und sind auch optisch besonders. Im Interview erklärt Lydia Bongartz, wieso sie vielerorts verschwunden sind und wie sie wieder zum Leben erweckt werden können.
Alte Landsorten sind bestens an ihren Standort angepasst. Um sie zu erhalten und zu vermehren, müssen ihre Samen gewonnen werden. Für alte Sorten begeistern und die Menschen aufklären will Lydia Bongartz. Die gebürtige Belgierin lebt seit zehn Jahren in Nordtirol und ist als Erhalterin beim österreichischen Verein Arche Noah tätig. Die Biologin betreibt ihren eigenen Garten in Absam und ist seit fünf Jahren als Referentin für verschiedene Kurse und Lehrgänge im Einsatz. Im Interview mit dem „Südtiroler Landwirt“ erklärt sie, wieso die Nutzpflanzen-Vielfalt erhalten bleiben muss.
Südtiroler Landwirt: Frau Bongartz, warum lohnt es sich, alte Kultursorten zu erhalten?
Lydia Bongartz: Dafür gibt es viele Gründe. Man entdeckt Sorten wieder, die beinahe in Vergessenheit geraten sind, und lernt neue Geschmäcker kennen. Klar ist da auch mal was dabei, das einem nicht schmeckt, aber dann probiert man eben wieder etwas Neues. Wir kennen das von Tomaten – eine Ochsenherz- Tomate schmeckt ganz anders als eine Cocktailtomate und wird in der Küche auch unterschiedlich verwendet. Ein wichtiger Vorteil alter Sorten ist auch, dass sie gut an ihre Heimat, an ihren ursprünglichen Standort angepasst sind, und sie kommen so gut mit dem jeweiligen Klima, dem Niederschlag und der Bodenbeschaffenheit zurecht. Interessant ist, dass bei manchen alten Sorten die Erntezeit über einen längeren Zeitraum geht und man über mehrere Wochen jeden Tag etwas abernten kann. Bei modernen Sorten ist es oft notwendig, alles in kurzer Zeit zu ernten – was im systematischen Anbau wünschenswert ist, ist im Privatgarten oft unpraktisch.
Warum sind so viele alte Sorten in Vergessenheit geraten?
Zum einen glaube ich, dass viele Sorten mit den Menschen, die das Wissen darüber hatten, vergessen wurden. Zum anderen wird vom Saatgutmarkt heute auf den ersten Blick eine große Vielfalt angeboten – das bewirkt, dass man sich nicht mehr mit alten Sorten beschäftigt. Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt, erkennt man aber, dass der Schein trügt. Weltweit werden nämlich ca. 12.000 Arten kultiviert, und nur ungefähr 120 Arten davon systematisch angebaut. Drei Arten stellen über 75 Prozent der Welternährung: Mais, Weizen und Reis. Das ist schon beachtlich! Eine größere Vielfalt wäre wünschenswert.
Oft haben die modernen Sorten nicht mehr viel mit ihren Ursprungspflanzen gemeinsam. Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Karotte ist ein gutes Beispiel dafür: Sie stammt aus dem urpersischen Raum und ist mit dem Menschen nach Europa gewandert. Die Wildkarotte ist geschmacklich nicht so gut, und satt wird man davon auch nicht. Aus dieser zarten Pflanze ein so sättigendes Gemüse zu züchten, wie wir es heute kennen, ist schon eine starke Leistung. Was wir aber auch oft vergessen, ist die Tatsache, dass es neben den orangen, modernen Typen auch die ursprünglicheren gelben und violetten Sorten gibt. Die könnte man auch mal ausprobieren, denn sie unterscheiden sich doch sehr in Geschmack und Aussehen und können in der Küche kreativ eingesetzt werden.
Sind manche alte Sorten gesünder, weil sie z.B. mehr Bitterstoffe enthalten?
Es stimmt, dass aus vielen Sorten die Bitterstoffe herausgezüchtet wurden, weil der Markt es so verlangte. Gesundheitlich spielt das aber keine Rolle – inzwischen nehmen wir die Bitterstoffe eben anders auf – über Kaffee und Bier zum Beispiel ... Ich finde es aber schade, denn meiner Meinung nach darf ein Chicorée oder Radicchio ruhig einen intensiven Geschmack haben, das gehört einfach zur Pflanze dazu. Auch der Zuckerhut schmeckt heutzutage leider viel milder als früher. Da wir gerade von Gesundheitsstoffen sprechen: Die meisten Apfelsorten stammen von drei Sorten ab und haben ähnliche Eigenschaften. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Apfelallergiker bei alten Sorten wie dem Boskoop nicht allergisch reagieren. Anscheinend wurde diese „Eigenschaft“ bei neuen Sorten weggezüchtet, da zu viel Wert auf andere Aspekte gelegt wurde.
Warum werden im systematischen Anbau fast immer Hybridsorten verwendet?
Es ist so: Ursprünglich wurde das Saatgut durch bäuerliche Pflanzenzüchtung gewonnen. Diese Sorten waren lebendig, variabel und anpassungsfähig. Die Pflanze zur Züchtung wurde sorgfältig ausgewählt und die Samen gewonnen. Das war früher vor allem die Arbeit der Bäuerinnen am Hof. Dieser Vorgang bedarf natürlich Zeit, ist aufwändig und die Pflanzen sind nicht homogen, der Ertrag ist also unterschiedlich. Kaum jemand lässt heute z.B. eine Kohlpflanze zwei Jahre lang stehen und wartet, bis sie blüht, um samenfestes Saatgut gewinnen zu können. Wir ernten die Pflanzen lieber gleich und greifen zu den Hybridsorten, die wir jedes Jahr neu anpflanzen. Hybride sind Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten, und diese Hybridzüchtung findet im konventionellen Anbau statt. Ziel der Hybridzüchtung ist es, ein Saatgut zu erhalten, das hohe Erträge bringt und einheitlich ist, was die Bearbeitung und Vermarktung erleichtert.
… und im Bioanbau?
Zwei konventionell gezüchtete Linien werden auf einem Biobetrieb angebaut, vor Ort gekreuzt und das Saatgut gewonnen. Das reicht aus, um das Saatgut als Biosaatgut zu verkaufen – obwohl alle vorherigen Schritte zur Zucht dieser Linien vollständig konventionell waren. Viele Biobauern arbeiten außerdem mit Hybridsorten, weil damit die Ertragssicherheit gegeben ist. Problematisch sind auch neue Züchtungsmethoden, die sogar von Leuten im Biobereich befürwortet werden. Ich persönlich bin da sehr dagegen, denn auch neue gentechnische Methoden sind Gentechnik.
Was bringt die Zukunft in Hinsicht auf die Kulturpflanzenvielfalt?
Derzeit ist es nur in kleinen Mengen erlaubt, Saatgut zu tauschen und abzugeben. Eigentlich wollte die Politik die Verordnungen zum Thema Sortenschutz strenger machen und den Tausch von Saatgut dadurch erschweren, zum Glück ist das bisher noch nicht geschehen. Stattdessen soll es bald eine neue Bioverordnung geben, die den Handel von heterogenem Material erlaubt. Das heißt, auch Sorten, bei denen nicht jede Pflanze gleich aussieht, dürften vermarktet und dadurch größere Mengen angeboten werden. Das wäre ein großer Schritt. Es gibt da also durchaus ein politisches Umdenken, das die alte Sorten-Tür wieder öffnen kann – ein Hoffnungsschimmer!
Haben Sie Tipps für Hobbygärtner?
Hobbygärtnern empfehle ich, das Gemüse am Markt oder direkt beim Bauern zu kaufen und sich über die Sorten zu erkundigen. Dann kann man selbst Gemüse anbauen und experimentieren. Am besten kann man einfach mal alte Sorten oder samenfestes Saatgut ausprobieren, Bohnen vermehren oder versuchen, aus gut schmeckenden Tomaten Saatgut zu gewinnen. Und natürlich kann man sich beim Sortengarten Südtirol und bei den Gartenführern Tipps holen.
… und was raten Sie Bauern?
Bäuerinnen und Bauern rate ich zur Direktvermarktung. Alte Sorten sehen zwar von außen nicht immer perfekt aus, bieten dafür aber andere Qualitäten. Wichtig ist die Aufklärung der Kunden, damit sie lernen, alte Sorten wieder wertzuschätzen. Natürlich sind nicht alle alten Sorten gut, und es lässt sich nicht alles so einfach vermarkten, auch wenn es für die Pflanzenvielfalt von Bedeutung ist.
Was ist Ihre Vision, was wäre wünschenswert?
Meine persönliche Vision ist, mehr Menschen aufzuklären, damit ein großes Netzwerk entstehen kann: ein Netzwerk von Landwirten, die alte Sorten in größerem Stil anbauen möchten, mit Gärtnern, die als Zwischenstufe fungieren, und kleinen Landwirten, die sich auf etwas spezialisieren, und aufgeklärten Kunden, die bewusst einkaufen. Damit diese Vision wahr werden kann, braucht es viele kleine Schritte.