Maria Hochgruber Kuenzer

Am Trog vorbei

Ohne die SBO wäre Maria Hochgruber Kuenzer vielleicht nicht in der Politik. Der Lebenslauf der entschlossenen Politikerin misst sich sprichwörtlich an einem Trog.

„Wenn ihr heim gekommen seid, dann war ich da.“ Mit diesem Satz ihrer Mutter im Ohr hat Maria Hochgruber Kuenzer ihr Leben eingerichtet. Man muss sagen: trotz dieses Satzes der Mahnung, ein Testament der Tradition. Unter „da“ ist der Herd gemeint, der Hof, das Zuhause von Mann und Kindern. Und von ihr, von Maria. Eine Mutter aber ist nicht immer da, wenn sie für den Ort, den Bezirk, für das Land unterwegs ist.

Hochgruber Kuenzer sitzt seit 2008 für die SVP im Südtiroler Landtag und war schon vorher unterwegs, seit 1980. Heute ist das hinfällig, ihre fünf Kinder sind erwachsen, haben teils selbst Familie, der Drittgeborene führt den Hof. Aus allen Fünfen ist etwas Ordentliches geworden. Paul, ihr Mann, der den Nachnamen Kuenzer trägt, weiß längst, dass seine Frau die Flügel, er die Wurzeln in der Ehe übernommen hat. Eine Teamarbeit, beide verlassen sich aufeinander, können das, wollen es und tun es auch. Als Maria und Paul 1976 geheiratet haben, war das nicht ausverhandelt, aber alsbald war für Maria klar: „Ich habe draußen nach etwas gesucht.“ Draußen, außerhalb vom Hof. Dabei hätte sie „spätestens beim Trog umkehren“ sollen.

Der Trog gilt in dieser bäuerlichen Redewendung als das Maß der Distanz, die der Bäuerin zugestanden wird. Beinahe jeder Hof hat einen Brunnen als Vieh-Tränke oder für den Garten. Nah genug am Haus. Für Kuenzer zu nah. „Ich bin am Trog weitergegangen“, schmunzelt sie. Das Blinzeln ihrer Augen verrät eine Energie. Mut. Mut hat es sie gekostet, als sie sich nach „draußen“ gemacht hat. „Die Bäuerinnenorganisation spielt dabei für mich eine wichtige Rolle.“ Das alte Rollenbild eignet sich nicht als Maß für eine Frau, die in die Welt hinter dem Trog will.

Landtag. September 2015. Maria Hochgruber Kuenzer sitzt im Präsidium, dem höchsten demokratischen Gremium Südtirols. Im Präsidium flankiert sie mit zwei anderen Kollegen den Landtagspräsidenten und dessen Vize. Vor ihr reiht sich die Landesregierung. Gegenüber sitzen die Abgeordneten. Am Tisch liegen ihr Tablet und ihr Smartphone. Maria folgt der Diskussion, toucht am Bildschirm, beantwortet Anrufe, tauscht sich mit dem Präsidenten aus, der Saaldiener bringt ihre Post. Multitasking, zu dem der Gedanke dazu gehört, ob daheim endlich die Sonnenuhr montiert wird. Der Sommer ist zwar vorbei, aber die Fassade vom Hof sollte vor dem Winter komplett werden. Der Gedanke daran dauert kurz, Landtagspräsident Thomas Widmann beugt sich zu Kuenzer hin. Sie schüttelt den Kopf, ihre Antwort. Reine Formsache.

Maria Hochgruber Kuenzer war zum dritten Mal schwanger, als Maria Hilber 1979 sie fragte, ob sie nicht mitkommen wolle. Die Bäuerinnen von St. Georgen bei Bruneck trafen sich für einen Austausch. Maria, Tochter eines Maurermeisters und Bauern im Nebenerwerb, hat von St. Lorenzen an den Bartlmair Hof geheiratet. Sie war 20 Jahre jung und fand den Austausch mit anderen Bäuerinnen erleichternd. Neugierde. Die Ortsgruppe wurde nicht zufällig früh gegründet (siehe S. 32), zwei Jahre später wurde die Südtiroler Bäuerinnenorganisation in Bozen aus der Taufe gehoben. Maria, sie trug ihr dunkles Haar zum festen Rossschwanz gebunden, kam in den Ortsausschuss, blieb 16 Jahre. Die Arbeit am Hof, die Erziehung der Kinder, Weiterbildungen an der Theologischen Hochschule. Paul schaute kritisch, als seine Schwester, Anna Piffrader, Maria zum Bäuerinnen-Bezirk einlud.

Maria war nicht zu halten: „Der Bezirk brauchte eine neue Orientierung.“ Sie wurde Bezirksbäuerin, gründete 1995 mit Paul, ihrem Sperringpartner, den Brunecker Bauernmarkt, durch den auch die Kinder tatkräftig eine Schule fürs Leben erhielten. Hochgruber Kuenzer wurde Brunecker Gemeinderätin, Baukommission, engagierte sich im Pfarrgemeinderat und als dessen Präsidentin. Dichtes Programm für eine Bäuerin, deren Arbeit daheim nie liegen blieb. Rosa Thaler wurde in den Landtag gewählt. Maria: „Ich habe nie daran gedacht, Landespolitikerin zu werden.“ Selbst Landesbäuerin zu werden stand nicht auf dem Plan – und doch ließ Viehbäuerin Maria die Gelegenheit nicht aus, an die Spitze der SBO zu gehen, die den Tal- und Obstbäuerinnen vorbehalten schien. Selbstbewusst.

Als sie als Landesbäuerin eine Kinderbetreuung mit Tagesmüttern organisieren und dafür die Sozialgenossenschaft einrichten wollte, gab es Widerstände. Dabei ging es ihr darum, Bäuerinnen, die dem Bauern die Last als Alleinversorger abnehmen wollen, den Nebenerwerb zu ermöglichen. Hochgruber Kuenzer wär nicht Hochgruber Kuenzer, hätte sie die Sozialgenossenschaft nicht durchgeboxt. Halt. Maria ist nicht brachial.

Hochgruber Kuenzers Kritiker fürchten ihre Entschlossenheit. WeggefährtInnen schätzen ihre Wärme, ihre Empathie: Maria ist immer da, wenn es sie braucht – ohne zu fragen. Seit 2006 ist sie Präsidentin der Genossenschaft. Kinder werden betreut, es gibt auch Angebote für SeniorInnen, für und von Familien. Die Pflege zwischen den Generationen. Jeder Schritt Marias war ein Lernen dessen, ihre ureigene Entschlossenheit wirksam werden zu lassen. Als sich 2008 abzeichnete, dass neben Rosa Thaler im Landtag eine weitere Bäuerin Platz finden könnte, wollte sie es wissen. Widerstände. Zugegeben, auch in der SBO. Maria blieb stehen. Zu Recht.

Die Stabsübergabe erfolgte 2013: Nach dem Ausscheiden von Rosa Thaler wären die Bäuerinnen im Landtag nicht mehr vertreten. Sie sind es jetzt mit einer gereiften Kämpferin. Die dafür sorgt, dass viele Junge ihr folgen. Am Trog vorbei.

Jutta Kußtatscher

Quelle: Festschrift 35 Jahre SBO

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