Wie nachhaltig ist die Landwirtschaft und welche Rolle spielen Frauen beim Systemwandel? Dieser Frage ging ein Workshop an der Eurac in Bozen nach. Mit dabei: Bäuerinnen und Pionierinnen, die ganzheitlich denken und handeln: für Boden, Pflanze, Tier, Land(wirt)schaft - und Mensch.
„Der Rechenschaftsdruck bei Bäuerinnen und Bauern ist hoch, nicht nur von Seiten der Gesellschaft, sondern auch sich selbst gegenüber“, sagte Christian Hofmann bei der Eröffnung des Workshops Nachhaltigkeit und Biolandbau in Südtirol. Die Veranstaltung fand am 29. November in der Eurac Bozen statt. Christian Hofmann ist Mitarbeiter am Institut für Regionalentwicklung an der Eurac und führte durch den Vormittag des Workshops, bei dem es einerseits um Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und andererseits darum ging, welche Rolle die Frau (die Bäuerin also) dabei spielt.
Bäuerinnen denken an nächste Generationen
Die Veranstaltung wurde von Eurac Research, der Freien Universität Bozen, von Bioland Südtirol und der Südtiroler Bäuerinnenorganisation sowie von Agrigenda getragen. Landesbäuerin Antonia Egger zeigte sich in ihren einführenden Worten erfreut darüber, dass drei Bäuerinnen zu Wort kommen sollten, die sich für ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften stark machen und machten. Egger findet aber auch, dass der Begriff Nachhaltigkeit oft missbraucht werde, deshalb sei es wichtig, dass gerade Bäuerinnen mit in die Diskussion eingebunden werden: „Wir Bäuerinnen wirtschaften so, dass wir den Hof an die nächste Generation weitergeben können. Auch das ist Nachhaltigkeit.“ Und sie appellierte an die Einigkeit in der bäuerlichen Bevölkerung: „Insgesamt ist die Sensibilität für Umweltfragen größer geworden, gemeinsam müssen wir die Landwirtschaft weiterentwickeln und uns nicht entzweien lassen, egal ob jemand konventionell oder ökologisch produziert.“ Dabei seien Wissenschaft und Forschung zwar wichtig, ohne die Praxis und das Verständnis der Bäuerinnen und Bauern können aber keine neuen Perspektiven entwickelt werden. Man brauche sich gegenseitig, um zu einem guten Ergebnis zu kommen, meinte die Landesbäuerin.
Bio: Die Situation in Südtirol
Thomas Streifeneder vom Institut für Regionalentwicklung der Eurac erläuterte zunächst, wo Südtirol derzeit im ökologischen Landbau steht: Der Green deal und die Farm-to-Fork-Strategie der EU gebe das Ziel von 25 Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche bis 2030 vor. Mit Ende 2021 könne Südtirol 12700 Hektar Biofläche vorweisen, das sind 5,3 Prozent, was im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich ist: Österreich als führendes Land sei bereits bei 25 Prozent, Italien bei 16, der europäische Durchschnitt liegt bei knapp zehn Prozent. Dabei habe sich Südtirol in den letzten zehn Jahren gut entwickelt, vor allem der Kernobstanbau. „Es ist also Dynamik da“, meinte Streifeneder, insgesamt stecke man aber noch in den Anfängen.
Der Wissenschaftler umriss auch mögliche Gründe für dieses Hinterherhinken: „In den Schulen wird Biolandbau noch zu wenig paritätisch behandelt“, meinte er, die Lehrpläne müssten entsprechend angepasst werden. Die Frage sei auch, welche Rolle die Genossenschaften in dieser Entwicklung einnehmen, ob sie die Umstellung auf Bio fördern oder eher hemmen. Zudem sei mehr Unterstützung gefragt, um das Risikomanagement für Umstellungswillige breit aufzustellen. Schließlich sind die Auszahlungspreise im Biolandbau im Vergleich zu konventionell zu niedrig.
Bio als Speerspitze der Nachhaltigkeit
Reinhard Verdorfer, Geschäftsführer von Bioland Südtirol, bestätigte die Aussagen von Thomas Streifeneder. Er ging auf die aktuellen Herausforderungen für den Ökolandbau ein: „Bio ist teuer und nachhaltige Landwirtschaft ist besser als biologische“, lautet nach Verdorfer das Urteil vieler. Dabei stimme das so nicht. Er ist überzeugt und eine Metastudie des Thünen Instituts bestätigt es: „Bio ist die Speerspitze der Nachhaltigkeitsbewegung!“ Zwar müsse die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger werden, die ökologisch wirtschaftenden Betriebe seien aber die Vorreiter in diesem Wandlungsprozess.
Bio brauche, so Verdorfer, ein politisches Konzept und Marktzugänge. „Wenn Europas Landwirtschaft zu 25 Prozent biologisch werden soll, dann müssen auch auf den Tellern 25 Prozent biologische Lebensmittel landen, und zwar auf jedem!“ Es müsse in die Logistik und in die Sensibilisierung in den Schulen gesetzt werden, Biobetriebe müssen stärker unterstützt werden, auch finanziell. Er wünsche sich für Südtirol eine Bio-Region, machbar sei es, das beweisen Projekte aus dem Ausland. Dazu fehle aber der Wille oder der Mut.
Mehr (junge) Frauen an die Spitze
Was den Verband Bioland Südtirol anlangt, habe man sich bewusst dazu entschieden, das Frauengremium abzuschaffen und die weiblichen Mitglieder in den Vorstand zu holen. Das sei von Vorteil, die Mischung ideal. Seitdem Toni Riegler als Obmann zurückgetreten ist, leitet seine Stellvertreterin Nathalie Bellutti den Verband bis zu den Neuwahlen im Februar. Verdorfer hofft, dass sie sich dann als Obfrau zur Wahl stellt: „Wir müssen Führungsrollen neu denken und uns umstellen. Wenn junge Frauen mit kleinen Kindern Führung übernehmen sollen, dann müssen wir davon ausgehen, dass sie nicht immer präsent sind, dass jemand ihre Aufgaben übernimmt, um sie zu entlasten. Das erfordert mehr Flexibilität von uns, birgt aber auch Chancen", unterstrich er.
Gelenkte Weideführung
Elisabeth Tauber, Ethnologin an der Freien Universität Bozen sprach über ganzheitliche Weidekulturen aus ethnographischer Sicht und zeichnete ein anschauliches Bild davon, was gelenkte Weideführung kann: Sie ist gut für Boden, Landschaft und Tier, entlastet Bäuerinnen und Bauern, bringt hochwertige Produkte hervor, macht unabhängig und ist deshalb in Summe in allen Bereichen nachhaltig: ökonomisch, ökologisch und sozial. Gelenkte Weideführung stammt ursprünglich aus Afrika, inzwischen wird sie weltweit praktiziert. Beispielsweise von einer Gruppe von Bäuerinnen und Bauern im Oberallgäu, die positive Erfahrungen damit gemacht haben.
Als letzter Beitrag des Vormittags stellte Felix Hartmann vom Institut für Regionalentwicklung der Eurac das Projekt NEST zur Steigerung der Nachhaltigkeit im Südtiroler Ernährungssystem vor (s. eigener Beitrag auf dieser Seite).
Mut und Ausdauer
Am Nachmittag erzählte Waltraud Schwienbacher über die Winterschule Ulten und begeisterte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Vielfalt an Projekten und Kursen, die dort seit mittlerweile drei Jahrzehnten angeboten werden. Mit einem ganzheitlichen Ansatz, um „Geist, Körper und Seele in Einklang zu bringen“, wie Schwienbacher resümierte. Dabei habe sie Ausdauer und Mut beweisen müssen, ging aber beharrlich ihren Weg. In der Überzeugung, das Richtige zu tun. Das Filmprojekt „Pustertaler Kulturartenvielfalt“ stimmte auf das Thema Erhaltung alter Landsorten und von lokalem Gemüsesaatgut ein. Gezeigt wurde eine Kurzversion des Films, in dem einige Bäuerinnen zu Wort kommen und ihren Zugang zu alten Landsorten und ihren besonderen Wert erklären. Eigentlich hätte Sabine Schrott, eine der treibenden Kräfte hinter dem Projekt, am Workshop teilnehmen sollen, sie musste sich aber entschuldigen. Am Ende der Veranstaltung wurde mit Martina Lintner, Bergbäuerin am Schornhof in Aldein, und Mathilde Schmitt von Agrigenda, Innsbruck Land über Pionierinnen der Nachhaltigkeit und des Biolandbaus diskutiert. Nachhaltigkeit, mit der Natur arbeiten und leben, Gentechnik, Frauennetzwerk, lokales Saatgut - für diese Themen hat sich die Bergbäuerin Martina Lintner stark gemacht.
Stille Heldinnen
Es war eigentlich Mathilde Schmitt, die zum Workshop Nachhaltigkeit und Biolandbau angeregt hat. "Es ist wichtig, die Pionierinnen nicht zu vergessen," sagt Mathilde Schmitt, Agrar- und Sozialwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Rurale Frauen- & Geschlechterforschung, Gender & Science, empirische Sozialforschung, Land_Agrar_Ernährungssoziologie. Sie hat gemeinsam mit Heide Inhetveen und Ira Spieker das Buch Passion und Profession. Pionierinnen des ökologischen Landbaus herausgegeben. Die Geschichte des ökologischen Landbaus wurde bisher vor allem den Männern zugeordnet. Weitgehend unbeachtet ist geblieben, in welchem Ausmaß Frauen die Entwicklung und Verbreitung einer alternativen Landwirtschaft vorangetrieben haben. Namen von Pionierinnen wie Mina Hofstetter, Lili Kolisko oder Gabrielle Howard sind heute kaum noch bekannt - zu Unrecht. Das war für die Autorinnen Anlass genug, anhand der Lebensgeschichten von 51 Pionierinnen auf die wichtige Pionierarbeit von Frauen hinzuweisen. Sie haben mit Leidenschaft geforscht, experimentiert, publiziert, Schulen gründetet und damit die biologische Landwirtschaft maßgeblich voranbracht. Das Buch gibt diesen »stillen Heldinnen« eine Stimme und erweitert damit die Perspektive auf die Geschichte des ökologischen Landbaus. Mathilde Schmitt erzählte beim Workschop von diesen stillen Heldinnen. In der Diskussion wurde klar, wie wichtig es ist, Frauenkultur sichtbar zu machen.
Renate Rubner
Bildtext: Die Pionierin Waltraud Schwienbacher im Gespräch mit Ricarda Schmidt von Eurac Research